Als ich keine Angst vor rassistischen Szenen hatte – Wir schreiben Demokratie

Heute habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich werde in meinem Schreiben (rassistische) Diskriminerung und wie sie uns alle betrifft mehr zum Thema machen.

Wie komme ich dazu? Am Anfang war die Bundestagswahl 2017. Von der ich nicht so viel mitbekam, da sie während meines Schweden-Urlaubs stattfand. Dadurch schrammte viel an mir vorbei. Doch irgendwo tief drinnen traf etwas, wenn auch nicht so sehr wie bei der Wahl Trumps, zu der ich damals betroffen einen Artikel schrieb. Betroffen, weil die Wahl jenes Mannes nicht einfach eine Wahl war – es wurde damit auch eine Gleichgültigkeit gegenüber offener Diskriminierung gewählt bzw. ein Wunsch nach selbiger. Dasselbe geschah nun mit der AFD, wenngleich diese nur mit 12,6 Prozent in den Bundestag einzog.

Danach erschuf das Nornennetz, von dem ich Mitglied bin, den Hashtag #WirSchreibenDemokratie. Eine Aktion, nicht nur, aber auch von Fantasy-Autorinnen, bei der über Freiheit, Was-ist-für-mich-Demokratie und wie wir Demokratie gemeinsam schaffen können geschrieben wird.

Davon inspiriert, wollte ich einen Textauszug posten, in dem Rassismus eine Rolle spielt. Ich wollte einen Ausschnitt, der aufzeigt, was er für Betroffene bedeutet, und warum darum die Gleichstellung und die Achtung der Würde aller Menschen für mich einer der wichtigsten Standpfeiler der Demokratie ist. Dabei machte ich folgende Entdeckung: So oft ich Diskriminierung thematisiere und Protagonisten mit Migrationshintergrund habe, persönliche Reflexionen über Rassismuserfahrungen habe ich faktisch kaum geschrieben. Ich erkannte schnell, warum.

1. Weil in meinen Geschichten Menschen mit verschiedenen Herkünften gleichwertig nebeneinander existieren oder im Laufe der Geschichte Diskriminierung erfolgreich überwunden wird.

2. Weil ich mich nicht traue, offen über Reflexionen von Diskriminierung / Rassismus zu schreiben.

Letzteres wurde mir klar, als ich mein erstes Manuskript auf meinem Server wiederfand. Es ist ein furchtbarer 0815-Tolkien-Fantasy-Schwurbel mit dem Namen »Dämonenblut«, das ich mit 14 Jahren schrieb. Beim Durchklicken durch die 300 unvollendeten Seiten, die ich auch nie beenden werde, wohl aber neu auflegen, stieß ich auf die Szene, die ich suchte. Der Protagonist Ion wird dort von den Magiern eines Magistrats wegen seiner Herkunft konfrontiert. Grund dafür ist, dass er ein Halbblut ist – ein Mischwesen aus Mensch und Dämon.

 

 

»Wie konntet Ihr, Achatius? Wie konntet Ihr einen Engel und einen Teufel zusammen führen? Ist Euch klar, was alles hätte passieren können durch Euren Fehler?«

Achatius blickte ohne irgendeinen Zweifel zurück. »Ihr wisst es doch. Deswegen habe ich Euch auch damals verlassen, als ich im Magistrat war.«

»Das meint Ihr?«, fiel Antonius ihm ins Wort. »Ihr seid gegangen, weil Ihr einen Teufel gefunden hattet und Euch weigertet, ihn zu töten. Ihr hattet damals gegen das Gesetz verstoßen und seid aus Elland geflohen, um diesem Halbblut das Leben zu retten. Wisst Ihr eigentlich, wie töricht das von Euch war? Gut, nach zehn Jahren wart Ihr nicht mehr in Eurer Schuld, es war Euch verziehen und vergessen. Da wagt wagt Ihr es jetzt, ihn zu uns Magiern mitzunehmen? Diesen … diesen …« Er sprach seinen Gedanken nicht aus, starrte Ion nur verächtlich an.

Auch Salvatore durchbohrte ihn mit seinem Blick. »Dieses furchtbare Gemisch aus Dämon und Mensch … Wie konntet Ihr nur!«

Salvatores Augen funkelten wütend. »Du Monster hast durch deine alleinige Existenz den Engel verunglimpft!«

Ions Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Ich habe ihr nichts getan, was ich bereuen müsste.«

»Ach ja? Hast du nicht, du Mörder? Du hast ihr gegenüber nichts zu bereuen? Pah! Deine Geburt solltest du bereuen!«

»Aufhören!«, schrie Celeste dazwischen, und alle Blicke richteten sich auf sie. Sie zitterte, Tränen glitzerten in ihren Augen, doch fand sie die Kraft, zu sagen: »Ion ist nicht so schlecht, wie Ihr alle behauptet.«

»So, ist er nicht?« Salvatore lächelte höhnisch. »Du kleines, dummes Ding weißt ja gar nicht, wie dir geschieht.«

»Ich weiß, dass er ein Herz hat«, entgegnete sie. »Und dazu ein sehr gutes.«

Salvatore sah sie erschrocken an, bevor er feindselig zu Ion stierte. »So sehr hast du sie also schon eingenommen, Teufel!«

»Ich habe ihr nichts angetan, verflucht!«

 


 

In seiner Begleitung ist eine Frau namens Celeste, auch ein Halbblut. Da sie aber von göttlicher Herkunft ist, wird ihr Respekt und Achtung entgegengebracht. Gleichzeitig zeigt man sich entsetzt, dass sie sich mit einem Halbdämon abgibt, fragt sich, ob dieser sie »befleckt« habe.

Ich habe mich selbst mit dieser Szene überrascht. So simpel (und selbst nach Edits noch cringey) sie geschrieben ist, sie ist vor allem eines: unverblümt. Im Nachhinein sehe ich, wie viel sie mit mir selbst zu tun hat. Ich bin in Deutschland geboren und fühle mich als Deutsche, doch für viele, die am Sonntag gewählt haben, bin ich durch meine marrokanische Mutter auch ein »Halbblut«. Wie Celeste in »Dämonenblut« werde ich als Frau dazu angehalten, mich vor dem »fremden« Mann zu fürchten, entgegen dem, was ich selbst bin, erfahren habe und möchte.

Auch wenn es eine Fantasy-Geschichte ist, ist klar, dass es um offenen Rassismus geht. In der Szene selbst wird es nicht deutlich, doch habe ich damals mit dem festen Ziel geschrieben, gen Ende aufzulösen, dass die »Rasseneinteilung« mit Menschen und Dämonen keine natürliche ist, die jeweiligen Völker alle miteinander verwandt – so, wie es auch in der wirklichen Welt ist. Hier ist kein Subtext, wie ich ihn oft in meinen Geschichten habe, glaube, ihn haben zu MÜSSEN, denn ich bin ja nicht politisch, will Lesern allenfalls mit meinen Storys Toleranz nahebringen, wie ich hier schon öfter schrieb.

Wie ich die Szene von Ions Diskriminierung las, wurde mir aber klar, dass da noch ein bisschen mehr dahintersteckt. Offen über Rassismus zu schreiben, heißt auch, Angst zu haben. Angst vor Beleidigungen, Anfeindungen, Drohungen, weil man wagt, dieses Thema anzurühren. Es war eine Angst, die ich als Jugendliche, vor allem mit dem Internet, erst lernen musste. Wer denkt auch daran, dass manche mit Wutanfällen reagieren, wenn man zu sagen wagt: Dann und dann habe ich mich schlecht behandelt gefühlt? Als 14-Jährige besaß ich diese Angst nicht:

 


 

»Zu dir brauche ich nichts mehr zu sagen. Wir alle wissen, dass Teufel uns immer nur Krieg und Tod beschert haben.«

»Ihr macht mich also dafür verantwortlich, was andere vor mir getan haben?«

»Der eine Wolf reißt genauso die Schafe wie die anderen. Du lebst doch nur für die Zerstörung! Das ist deine Natur und daran wird sich nie etwas ändern.«

Eine Stimme zerschlug wie der Klang einer Glocke seine Worte: »Ihr irrt Euch.«

Salvatore wirbelte herum, und auch die anderen Magier einschließlich Achatius und Ion blickten zu Celeste herüber.

»Ihr irrt Euch, Magister«, sagte sie. »Ganz gleich, welches Blut wir in uns haben, wir alle begehen Fehler.«

 


 

Mein jüngeres, naiveres Ich hat frank und frei geschrieben, was es für die rechte Wahrheit hielt: Ganz gleich, welches Blut wir in uns haben, wir alle begehen Fehler. Ich habe heute beschlossen, mir dieses jüngere Ich zum Vorbild für die Zukunft zu nehmen.

Meine lieben Kollegen möchte ich inspirieren, auch keine Furcht zu haben, über Diskriminierung in ihren Romanen zu schreiben, ob nun offen oder subtil. Leser und Freunde, darauf aufmerksam zu machen, wenn sie diese erleben, sei es am eigenen Leib oder als Zeugen. Schweigt nicht – schreibt selbst Demokratie! Jedes Wort hilft, die Opfer sichtbar zu machen und uns alle als gleichwertige Menschen mehr zusammenzurücken :-)

 

Wenn ich nicht Inspiration genug bin – hier ist eine Linkliste mit allen Beiträgen zur Aktion #WirSchreibenDemokratie. (Wird fortlaufend ergänzt.)

Black Kraken: Bundestagswahl 2017, oder: Armutszeugnis für Deutschland (AFD)

Buechnerwald: Das Kleid im Winterschlaf – Politik-Privilegien und die Gefahr in ihnen

Eleonoravelle: Der Mechanismus des Wahnsinns

Evanesca Feuerblut: #WirSchreibenDemokratie – ein Ausweg aus der kollektiven Fassungslosigkeit

Fantastronautin: Wir schreiben Demokratie!

Frau Schreibseeles Schreibblog: #WirSchreibenDemokratie – Und ich schreibe mit, weil ich bunt mag

fried phoenix: #wirschreibendemokratie

Möchtegerns Autorenblog: #WirschreibenDemokratie – ein paar Gedanken

Schreibleben: Die Partei der Enttäuschten

thebluesiren: Buchempfehlungen angesichts der Bundestagswahl 2017

Twitter-Aufruf von Textflash & Statement ihrer Mutter Hermine

 

14 Antworten auf „Als ich keine Angst vor rassistischen Szenen hatte – Wir schreiben Demokratie

  1. Vielen Dank für diesen tollen Beitrag.

    Als ich gelesen habe, warum Du heute nicht über Diskrimminierung und so schreibst, hab ich mich total darin gesehen. Denn es ist leider heute tatsächlich so, dass man sich nicht traut, gegen solche Dinge offen zu stehen, weil die Rassist*innen und der ganze Rest zu laut brüllt. Und manchmal hat man das Gefühl, komplett alleine zu sein und wie soll man sich dagegen wehren? Gegen einen durchgeknallten Mob, der scheinbar Lust darauf hat zu zerstören?

    Aber Du hast Recht, man sollte definitiv mutiger sein un sich erheben, damit der Mob nicht gewinnt.

    Lieben Dank dafür <3

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    1. Bitte, es war mir ein inneres Bedürfnis :)

      Genauso empfinde ich es auch: Manchmal wird so laut gebrüllt, dass man sich alleine fühlt und darum nichts sagt. Ironisch, wo man eben nicht allein ist, ob nun im echten Leben oder online. Der Großteil der Menschheit, das kann man an eindeutigen Zahlen sehen, ist nicht auf gezielte Diskriminierung aus. Wenn wir uns das vergegenwärtigen und zusammenarbeiten, ist schon viel gewonnen.

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  2. Ich kann für mich sagen, dass ich selten Hemmungen habe, den alltäglichen Rassismus und die Ungerechtigkeiten dbzgl. schriftlich und mündlich zum Ausdruck zu bringen. Das liegt zum einen an meinem Alter. Denn ich habe bereits in den Neunzigern einen heftigen Ausbruch von Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit hautnah erlebt, da zwei meiner Kinder aus Sri Lanka stammen.Schon damals habe ich mich heftig zur Wehr gesetzt und ich werde nun bestimmt nicht damit aufhören. Alle meine Kinder hatten immer Freunde aus vielen Nationen, sodass ich auch deren Sorgen und Nöte ausreichend kannte/kenne. Auch als Lehrerin erlebe ich genug, was mich wütend macht.
    Ich versuche oft, Dinge bewusst zu machen. Kollegen zum Beispiel, die mit Forderungen kommen, dass Eltern von Migrantenkindern zu Hause „gefälligst“ nur Deutsch sprechen sollen, habe ich gefragt, ob sie das bei amerikanischen, französischen, englischen usw. Familien auch fordern würden. Betretenes Schweigen. Da wird die Zweisprachigkeit nämlich immer gelobt. Es hat sich positiv gewandelt. Alllerdings ist es für mich ohne Migrationshintergrund auch leichter, da ich auf Basis der Herkunft nicht angreifbar bin. Deshalb bemühe ich mich umso mehr.
    Da mich der zunehmende Rassismus und social profiling bei Kontrollen seit Jahren furchtbar aufregen und niemand zu den Wurzeln von Fehlentwicklungen gehen will, habe ich in einem meiner Romane, der sich mit einer jugendlichen Ausreißerin befasst, ein ganzes Kapitel der Problematik gewidmet und auch im Tagebuch des Mädchens so einiges thematisiert.
    Ob man mich deswegen angreift, ist mir reichlich egal, denn erstens kann ich hart dagegen argumentieren – wenn es der Worte wert ist -, und zweitens kann auch ich ganz schön zornig werden.

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    1. Ich bin beeindruckt über dein leidenschaftliches Bekenntnis zum Widerstand! Deine Wut ist bei deinem Hintergrund und dem, was du an Erfahrungen schilderst, nachvollziehbar. Höre nie auf, sie in aktivistische Tate und Worte umzuwandeln! <3

      Das mit der Sprache ist ein sehr interessanter Punkt, den du ansprichst. Ich habe gerade erst in der Uni ein Fach zum Thema "Deutsch in der Migrationsgesellschaft" gehabt, da ging es viel um Linguizismus – Diskriminierung von Sprachen. Das ist teils wie bei den "Volkswahrheiten" zu anderen Kulturen oder Frauen; die meisten Menschen in unserer Gesellschaft haben völlig falsche Vorstellungen davon, wie Sprachen und Sprachenlernen funktionieren. (Was man aber auch einfach nicht erfährt, wenn man sich nicht damit beschäftigt.) Ich sehe oft Unverständnis, wenn Migranten sich mit Sprache schwertun, dabei ist das absolut zu erwarten (und bei uns ja auch nicht anders, wenn wir Englisch & Co. lernen). Keine Sprache lässt sich in einem Crash-Kurs lernen, es braucht Jahre an Praxis dazu – hirnbiologisch ist das nicht anders möglich. Außerdem ist Integration keine Einbahnstraße. Man darf sich nicht wundern, wenn Menschen mit Migrationshintergrund einen Unterricht nicht verfolgen können, der sie mit bildungssprachlichen Fachbegriffen komplett alleine lässt. Wenn sich selbst Menschen mit Deutsch als Erstsprache diese nur mühsam merken können?

      Dein Roman klingt spannend! Ist er schon fertig? Schreibst du ihn noch? Toll, dass du mit ihm solche Themen an deine Leser herantragen willst.

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      1. Mich erbost jede Form von Ungerechtigkeit, angefangen in der Schule. Außerdem driftet alles immer weiter auseinander anstatt zusammen zu wachsen. Alle beschweren sich über gesellschaftliche Verhältnisse aber kaum jemand ist bereit, zu den Wurzeln übler Entwicklungen auf allen Ebenen zu gehen/sehen. Mit Bewusstmachung befasst sich der Roman, mit der Möglichkeit, alles auch anders zu denken. Dabei bleibt ein langer Blick auf Fluchtursachen – angefangen bei der Kolonialzeit – und die Situationen vieler Migranten natürlich nicht aus. In einem Zeltlager kommt es dabei zu Gesprächen, die mich selbst noch immer anrühren und die hoffentlich ein paar Menschen nachdenklich machen. In einem Tagebuch beleuchtet die Hauptfigur, Sophia, viele gesellschaftliche Probleme und Ungerechtigkeiten auf ihre eigene, kompromisslose Art.
        Der Roman wurde 2015 als E-Book veröffentlicht. Mein Zwiespalt besteht darin, dass ich möchte, dass meine Worte gehört werden, aber mich mit Werbung schwertue.
        Der Titel: „Vorbilder? Fehlanzeige!“
        Bei Interesse würde ich dir gern ein kostenloses Exemplar zur Verfügung stellen.

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      2. Vielen lieben Dank, das Angebot weiß ich sehr zu schätzen! Ich interessiere mich tatsächlich. Da ich weiß, dass gerade kleinere Autoren jede Unterstützung brauchen können und gute Dinge gar nicht genug unterstützt werden können, habe ich mir das E-Book kurzerhand selbst gekauft. ;)

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