Interview-Reihe mit Kia Kahawa (Teil 1): Hat die Literaturszene ein Problem mit Gewalt?

Immer wieder schreibe ich über meine Erlebnisse als Autorin und angehende Lektorin – Erlebnisse, die in den meisten Fällen schön sind, doch nicht immer.

So schrieb ich vor einiger Zeit auf Twitter über einen Liebesroman, den ich bearbeitet habe und in dem sich erschreckend oft über den Willen der Protagonistin hinweggesetzt und ein »Nein« von ihr ignoriert wurde. Ein anderes Mal bin ich über Diskussionen zum Thema Trigger-Warnungen gestolpert, in denen sich mehrere bekannte Schreibkolleg*innen über traumatisierte Menschen lustig machten, und verfasste einen entsprechend kritischen Post.

Beiträge, auf welche die Autorin und Lektorin Kia Kahawa aufmerksam geworden ist. In Folge hat sie mich zu einem sehr spannenden Interview auf ihrer Seite eingeladen. Wir haben über Gewaltverherrlichung in der Literatur gesprochen, Feindlichkeit im Internet, Hate Speech, Sensitivity Reading sowie das Für und Wider von Trigger-Warnungen. Weil diese Themen sehr intensiv sind und entsprechend viel Platz brauchen, erscheint unser Interview in drei Teilen.

Der erste Teil – »Hat die Literaturszene ein Problem mit Gewalt?« – ist hier zu lesen. Die anderen beiden Teile des Interviews werden morgen und übermorgen auf der Homepage von Kia erscheinen.

Update: Hier geht es zu Teil 2 und 3 des Interviews.

 

Bild von Kia Kahawa

9 Antworten auf „Interview-Reihe mit Kia Kahawa (Teil 1): Hat die Literaturszene ein Problem mit Gewalt?

  1. Moin, ich habe natürlich nich so viel lektoriert wie du (respektive kümmere ich mich auch um Sachtexte, da ist das ja seltener Thema), aber: Die Erfahrung kenne ich, da habe ich auch schon um Nachbesserung gebeten und mir wurde dann überrascht mitgeteilt, dass weder die Gewalt noch das Gaslighting irgendwie Absicht gewesen seien.

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    1. Interessant zu wissen, danke für den Einblick. Ich habe inzwischen wirklich den Eindruck, dass für viele die Grenzen verschwimmen, weil das auch in unseren Medien so oft der Fall ist. Da begünstigt auch schon mal der Hollywood-Liebesfilm, den man verehrt, entsprechende Reproduktion im eigenen Buch. (So war es bei einem meiner letzten Aufträge.)

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      1. Absolut.
        Persönlich betrachte ich Triggerwarnungen als hilfreich, wenn auch nicht zwingend notwendig.
        Sie schaden niemandem, weshalb ich aggressive Abwehrreaktionen gegen Triggerwarnungen von Seiten Einzelner nicht nachvollziehen kann. Das wäre so, als würde jemand sich über Impressum, Widmungen und Danksagungen aufregen. Wer es nicht lesen will, der liest es nicht. Basta.
        Gleichzeitig braucht es sie aber auch nicht zwingend. Denn Lesenden, gerade jenen, die ihre Trigger kennen, ist durchaus zuzutrauen, dass sie sich über Werke aus bestimmten Genres oder mit bestimmten Titeln informieren und ggf. entscheiden, sie nicht zu lesen. Oft kann der Klappentext da ja bereits sehr aufschlussreich sein.
        Triggerwarnungen können da selbstverständlich als Zusatzinformation dienen.
        Ich gehe beispielsweise gezielt über Triggerwarnungen hinweg, weil ich bezüglich meiner Themen auf Konfrontationskurs gehe. Das hat mir geholfen, diese Dinge zu verarbeiten und damit umzugehen. Vermeidungsverhalten hat es nur schlimmer gemacht.

        Andererseits beschleicht mich häufig das Gefühl, dass „Trigger“ bzw. „getriggert sein“ von Einzelnen viel zu schnell bereits auf Dinge angewandt wird, über die sie sich (nicht einmal zu Unrecht) empören. Für Außenstehende und solche, die sich mit Traumata nicht die Bohne auskennen, ist da nicht zu erkennen, ob da gerade jemand eine traumatische Situation erneut durchlebt bzw. dagegen ankämpft, sie erneut zu durchleben, oder, ob die Person sich lediglich moralisch empört. Häufig wirken solche empörten Reaktionen selbst auf mich oft wie Beißreflexe, in dem Versuch unternommen, potentielle sachliche Diskussionen im Keim zu ersticken. Und das wird dann gerne mal als „Empfindlichkeit“ und „Beleidigtsein“ interpretiert – was dann wiederum schnell dazu führen kann, dass Aussagen über Trigger bisweilen nicht mehr ernst genommen werden.
        Mit Empörung werden nur diejenigen erreicht, die nicht mehr erreicht werden müssen, weil sie derselben Ansicht sind. Menschen aber, die durch eine sachliche Erläuterung – wie beispielsweise die deine, liebe Nora – hätten erreicht werden können, werden durch empörte Reaktionen vielleicht sogar noch zusätzlich abgeschreckt.
        Und das ist mehr als bedauerlich.

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      2. Wow, danke für diesen ausführlichen Kommentar!

        Ja, es ist kein leichtes Thema. Ich kann absolut unterstreichen, dass eine weniger verhärtete Diskussion allen Beteiligten guttun würde. Das mit der „gezielten Konfrontation“ habe ich mehrfach gehört. Ich gehe auch nicht davon aus, dass nun weniger Menschen meine Bücher meine Bücher kaufen werden aus Themavermeidung. Das wird wohl nur auf sehr wenige Menschen zutreffen – wer es will und braucht, kann jetzt nur mit dieser Liste vorbereitet sein.

        So wie ich es in einigen Diskussionen gesehen habe, reagieren einige Betroffene durchaus emotional, wenn Leute sich hämisch auslassen. Das kann man ja auch nachvollziehen. Es ist definitiv schade, wenn das Thema als „Empörung“ abgestempelt (ob es nun stimmt oder nicht). Aber ich freue mich, dass mein Beitrag umso sachlicher rüberzukommen scheint. Vielleicht gibt er ja dann auch ein paar Denkanstöße.

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      3. Vermutlich können viele nicht zwischen den Reaktionen von Einzelpersonen und den entsprechenden Themen differenzieren.
        Die Bezeichnung mancher Reaktionen als „Empörung“ oder als Zeichen von „Überempfindlichkeit“ liegt sicher unter anderem in dem geringen Wert begründet, der Emotionalität in Gesellschaften beigemessen wird, in denen es wichtiger ist, Leistung zu bringen, zu funktionieren und sich in Normkategorien und Klischees pressen zu lassen, um besser „vorhersehbar“ und „auswertbar“ zu sein.
        Da wird eine emotionale Reaktion schnell als Zeichen von „Unreife“ gewertet, weil „Erwachsene“ schließlich gelernt hätten, ihre „emotionalen Ausbrüche“ zu kontrollieren.
        Dass Häme ebenfalls keine besonders „erwachsene“ Art ist, sich an einer Diskussion zu beteiligen, wird dabei schnell vergessen.

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      4. Das bringt es wirklich gut auf den Punkt. Ich habe erst vor kurzem von „Tone Policing“ gelernt, diese Art, zuerst den Ton zu kritisieren und damit Leute mundtot zu machen, um so schmerzliche Erfahrungen oder Kritik zu umgehen. Natürlich ist ein guter Ton wichtig für Diskussionen, und ich bemühe mich selbst um ihn, um ernst genommen und eben nicht als „unreif“ gesehen zu werden. Aber bei manchen Themen sind eben Gefühle involviert – oft welche, die nur bestimmte Menschen empfinden, wie eben beim Thema Trigger. Das darf man nicht ignorieren, und gerade die Autor*innen, deren ganzes Handwerk auf Empathie aufgebaut ist , sollten hier über ihren Tellerrand schauen können.

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      5. Ruhe zu bewahren, sachlich zu bleiben … Das fällt mir auch oft schwer, vor allem in mündlichen Diskussionen. Schriftlich ist es einfacher, weil es da ja – selbst bei Twitter, denke ich – nicht darauf ankommt, zeitnah zu antworten. Eins kann erst einmal tief ein- und ausatmen.
        Und dann ausführlich mit einem Blogbeitrag antworten, wie ich das hin und wieder tue. ;-)
        „[…] und gerade die Autor*innen, deren ganzes Handwerk auf Empathie aufgebaut ist , sollten hier über ihren Tellerrand schauen können.“
        Sollten sie.
        Andererseits beweisen die Beispiele von Schreibenden, die erst auf deine Hinweise hin überhaupt über das von ihnen Geschriebene nachdachten, dass sich nicht alle Angehörigen unserer Zunft der Macht bewusst sind, die ihre Worte haben können – und dass längst nicht alle einfühlsam sind. Dass aber eben unter denen, die du darauf hingewiesen und die du aufmerksam gemacht hast, einige zum Nachdenken angeregt wurden, ist ein gutes Zeichen. :-)
        Weiter so.

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