Horror-Kurzgeschichte aus »Schwarze Galerie«.
Featured in Oberhorror vom Chaotic Revelry Verlag.
Leseprobe
Der Name war Giorgio Panini – der neue Stern am Himmel der Kunst. Kein Maler, hieß es, brächte die dunklen Seiten des Menschen so gut aufs Papier wie er. Als ich zum ersten Mal ein Bild von ihm sah, zogen sich mir die Eingeweide zusammen. Nie in meinem Leben hatte ich etwas Hässlicheres gesehen. So ästhetisch grauenvoll waren seine Werke, dass sie einen unweigerlich in ihren Bann ziehen mussten.
Ich stellte ihn mir als einen befahrenen Menschen vor, der mit seiner Malerei den Menschen ihre schlechten Seiten aufzeigen wollte. Wie herbe wurde ich enttäuscht, so gewöhnlich war er bei unserem ersten Treffen. Er war kultiviert und höflich, besaß jedoch nicht die unnahbare Würde des Genius. Betonte, wie sehr er sich freue, ein Gespräch mit mir zu führen, und so fühlte sich auch unsere Konversation an. Kam ich aber auf seine Arbeitsweisen zu sprechen, wich er mir stets beiläufig aus.
Das große Mysterium des großen Giorgio Panini – niemand wusste, wie und wo er arbeitete. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, dieses Geheimnis zu lüften. Nicht nur aufgrund meiner Berufung, sondern auch meiner eigenen Neugierde wegen. Wie, fragte ich mich, brachte er es nur zustande, die menschliche Dunkelheit so gut abzubilden?
Aber wie ich es auch drehte und wendete, bei derlei Fragen blieb er beharrlich knapp, und meine Bitte nach einem Atelierbesuch wies er sofort zurück.
»Ich arbeite nur für mich«, sagte er scharf und funkelte mich warnend an.
Ich zuckte unwillkürlich zurück. Meine Fragerei hatte ihn offenbar verärgert.
»Die Öffentlichkeit darf sich gern an meinen Bildern erfreuen, mehr nicht. Aber das ist den Aasgeiern natürlich nicht genug.« Er lächelte wie in Nachsicht und trank seinen Kaffee weiter.
Ich blickte ihn unschlüssig an. Auf einmal wirkte er gar nicht mehr so gewöhnlich, sondern von einer ähnlich erschreckenden Tiefe wie seine Bilder.
Da lächelte er schon wieder freundlich. »Haben Sie Familie? Erzählen Sie doch ein wenig über sich selbst.«
Ich blinzelte verwundert. »Ja, ich bin verheiratet. Wir haben zwei Kinder.«
»Schön.« Panini wirkte beängstigend berechnend. »Und was mögen Sie an meiner Kunst? Sie mögen Sie doch, oder?«
Ich zögerte. »Verzeihen Sie, aber ich muss gestehen, dass mir Ihre Arbeit nicht gefällt. Sie fasziniert mich, sie macht mich neugierig, aber sie mag mir nicht gefallen. Ehrlich gesagt, ich finde sie sogar abstoßend. Aber auch kunstvoll.«
Er blickte mich gleichzeitig überrascht und irgendwie gelangweilt an. »Ich beneide Sie«, bemerkte er in dem gleichen Ausdruck. »Ich bin Junggeselle, müssen Sie wissen«, fügte er nach einer Weile verblüfftem Schweigen meinerseits hinzu. »Schicken Sie mir dann den Artikel?«
»Ja, gerne.«
»Schön, vielen Dank. Leben Sie wohl.«
Ich schüttelte ihm die Hand, überrumpelt von dem plötzlichen Abschied. Sein dunkelbemäntelter Rücken war das letzte, was ich sah, bevor er das Café verließ.
Leben Sie wohl …
Ich setzte mich in Bewegung und folgte Panini.
140 Seiten
ISBN-10: 3981581121
ISBN-13: 978-3981581126
[vergriffen]
© Nora Bendzko 2016