Transkript der LBM Talkrunde vom Nornennetz: Starke Frauen in der Phantastik (Teil 1)

Wie bei meinem Bericht von der Leipziger Buchmesse versprochen, habe ich die Talkrunde vom Nornennetz – »Starke Frauen in der Phantastik« – schön leserlich transkribiert. ♥

Aufgrund der Länge des Talks wird dieser Artikel zweigeteilt.

Stella Delaney, Katherina Ushachov, Nike Leonhard und meine Wenigkeit besprechen im ersten Teil: Geschlechtervorurteile gegenüber Autorinnen und Autoren, warum Märchenadaptionen viel mehr als die hundertste Cinderella-Romanze sein können, inwiefern der Buchmarkt Autorinnen unabsichtlich benachteiligt und warum es Kollektive wie das Nornennetz braucht.

Wer den Talk doch lieber hören statt lesen möchte, findet hier eine komplette Aufnahme.

 

 

Stella Delaney

Ich möchte am Anfang noch darauf hinweisen: Wir werden damit anfangen, dass wir hier ein bisschen diskutieren, sozusagen für euch. Wir sind nachher noch in der Signier-Area, nicht zum Signieren, sondern damit ihr kommen und mit uns weiterreden könnt, und wir sind natürlich auch am Stand vom Nornennetz. Das ist J303, hier in der Halle, und da dürft ihr jederzeit vorbeikommen, heute oder morgen, und dürft uns gerne ansprechen. Wir sind dann für euch da. So – damit ihr wisst, mit wem ihr es genau zu tun habt, möchte ich erst einmal meine Partnerinnen sich vorstellen lassen, mich dann selbst kurz vorstellen. Und wir fangen an mit der Nike.

 

Nike Leonhard

Ja, hallo, ich bin Nike Leonhard, Autorin und Selfpublisherin. Ich schreibe kurze Fantasy-Formate, das heißt: Legenden, Erzählungen, Novellen, im Bereich zwischen 50 und 150 Seiten ungefähr. Die meisten davon gehen als Ebooks raus, aber ich habe inzwischen auch zwei Prints im Angebot.

 

Nora Bendzko

Hallo, ich bin Nora Bendzko, eine etwas »dunklere« Norne, denn ich schreibe im Großbereich der dunklen Phantastik. Erstmals bin ich auf der Leipziger Buchmesse mit meinen Galgenmärchen gewesen. Ich durfte dort, wo ihr als Publikum sitzt, auch schon am Donnerstag sitzen und zittern, weil mein jüngstes Buch, das Galgenmärchen »Kindsräuber«, auf der Shortlist für den Seraph Phantastik Preis stand. War sehr aufregend! Ich bin Autorin, Sängerin und Lektorin, in dieser Reihenfolge. Wenn ich nicht schreibe oder singe, studiere ich in Wien, und habe den weiten Weg hierher auf mich genommen, um erstmals mit meinen Nornen-Schwestern am Stand zu sein und jetzt für euch mitzutalken. Ich freue mich sehr darauf.

 

Katherina Ushachov

Mein Name ist Katherina Ushachov. Ich schreibe Fantasy, Science-Fiction und Dystopien als Hybrid-Autorin, und ich bin ein Teil der Märchenspinnerei.

 

Stella Delaney

Mein Name ist Stella Delaney, ich schreibe auch im Bereich der Phantastik – Dystopie, aber auch Historical Fantasy, und ansonsten Krimis. Im wahren Leben stehe ich vor Schulklassen und versuche denen etwas beizubringen, ab und zu erfolgreich. Hoffe ich zumindest!

Ich komme aus Winterthur in der Schweiz und ich muss sagen, Leipzig schlägt die Schweiz im Moment um Lägen, was den Schnee und die Kälte angeht. Ich bin das überhaupt nicht gewohnt! Und wie schon meine Kolleginnen erwähnt haben: Wir sind jetzt hier die vier Nornen. Eigentlich sind es ja nur drei. Wer kennt die Nornen, mal kurz die Hand heben?

(mehrere im Publikum heben die Hand)

Da muss ich’s gar nicht erklären, super! Wir alle sind in einem Netzwerk organisiert, dem Nornennetz, sind auch mit einem eigenen Stand hier vertreten auf der Buchmesse. Die Nike wird jetzt kurz erklären, was dieses Nornennetz eigentlich ist.

 

Nike Leonhard

Das Nornennetz ist die Vereinigung der deutschsprachigen Phantastik-Autorinnen. Wir schreiben nicht nur Fantasy, sondern alle Spielarten der Phantastik, bis hin zur maschinenbasiertem Science-Fiction, aber dazwischen auch sämtliche Untergenres, ob Dystopie, Horror, Steampunk oder was auch immer. Unser Ziel ist es, Frauen in diesem Gebiet zu fördern und besser sichtbar zu machen. Eines dieser Mittel ist heute der Auftritt auf der Leipziger Buchmesse. Ansonsten arbeiten wir viel miteinander und unterstützen uns gegenseitig dabei, besser zu werden.

 

Stella Delaney

Wenn wir für gewöhnlich erzählen, ist meistens die erste Frage, die in Interviews so gestellt wird: Was ist eigentlich das Nornennetz? Wenn dann die Aussage kommt: »Das ist ein Netzwerk für Phantastik-Autorinnen«, dann kommt garantiert die zweite Frage: »Und was ist mit den Männern? Habt ihr was gegen Männer? Kann man als Mann bei euch auch Mitglied werden? Seid ihr Feministinnen?«

All diese Fragen beantworten wir sehr gerne, immer und immer wieder. Vielleicht greifen wir einfach mal die Frage auf: Warum braucht es überhaupt ein Netzwerk für Autorinnen?

Haben denn Autorinnen denn wirklich Nachteile gegenüber Autoren? Ist das denn so, ist das ein Gerücht, ist das veraltet, oder ist das ganz aktuell? Da würde ich jetzt meinen Kolleginnen das Wort übergeben und würde ihnen diese Frage stellen. Wozu braucht es das Nornennetz? Sind Autorinnen denn diskriminiert, und habt ihr vielleicht sogar schon Erfahrungen gemacht mit dieser Diskriminierung?

 

Nora Bendzko

Wenn ich da gleich einlenken darf. Ich finde das Nornennetz deshalb wichtig – um die Frage zu beantworten, warum brauchen wir das überhaupt für Phantastik-Autorinnen –, weil es noch dieses starke Klischee in den Köpfen gibt: Frauen können oder wollen nur vornehmlich Romantasy. Also, machen nur Fantasy, wo eine Lovestory der Hauptgrund ist, der Hauptantrieb für die Geschichte.

Ich glaube, man hat schon in unseren Vorstellungen mitbekommen, dass witzigerweise wir vier das so gar nicht schreiben. Hätte ja sein können? Wir haben natürlich auch, aber das ist eher zufällig, Romantasy-Autorinnen dabei, aber wir haben wirklich alles querbeet im Nornennetz. Und genau darum soll es gehen, dass wir uns hinstellen als Nornen, und sagen: »Frauen können tatsächlich sehr divers sein.« Auch wenn uns das viele oft nicht glauben. Ich werde später noch ein bisschen mehr erzählen, dann als persönliches Beispiel, aber wir müssen jetzt ja nicht so tief greifen …

Ich erlebe das wirklich sehr, sehr oft, sowohl unter Autoren und Autorinnen als auch Leser und Leserinnen, diese Wahrnehmung, dass je nachdem, was für ein Geschlecht man hat, es angeblich eine Tendenz gibt. Also dass man sagt, Frauen schreiben automatisch emotionaler, über Liebe und so weiter, und die Männer dagegen epischer und vielleicht sachlicher. Wobei das dann sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil sein kann. Wir reden jetzt über Autorinnen, aber auch Autoren, also männliche Autoren, können das zum Nachteil erleben, wenn zum Beispiel Frauen sagen: »Okay, warum soll ich jetzt einen Romance von einem Mann lesen? Der kann das doch gar nicht! Männer verstehen keine Liebe.« – So, blöd gesagt, ne? Und das möchte ich jetzt mal euch geben, was ihr dazu sagt.

 

Stella Delaney

Ja, man sieht das teilweise ganz klar. Als Leser kriegt man das meistens nicht mit, außer man geht mal zu einer Lesung und wundert sich dann, warum die angekündigte Autorin als Mann vor einem steht – diese Richtung gibt es auch!

Es gibt sowohl die Frauen, die »gezwungen werden« in Anführungsstrichen, wenn sie in härteren Genres schreiben – Thriller, oder mehr Action, oder mehr düster –, sich ein männliches oder neutrales Pseudonym zuzulegen, während die Männer, wenn sie eher auf Gefühle ausgerichtet sind oder Romantasy, Romance schreiben, in die Ecke gedrängt werden, sich ein weibliches Pseudonym zuzulegen. Auch diese Bewegung gibt es.

Unsere Bestrebung ist dann auch für diese Männer, weil wir sagen: »Warum kann sich nicht ein Mann hinstellen und kann Romance schreiben mit seinem eigenen Namen?« Diese ganze Geschlechteraufteilung der Literatur ist eher kritisch zu sehen.

 

Nora Bendzko

Finden wir zumindest. Uns wäre es am liebsten – deswegen machen wir das! –, dass wir die Köpfe sowohl von den Leuten in der Szene, die Geschichten veröffentlichen, als auch von denen, die es letztendlich lesen, aufknacken und sagen: »Nee, ist ja Schwachsinn!« Autoren erfinden Geschichten, Autorinnen genauso, und jeder kann Gefühl, jeder kann Spannung, und es sollten nicht Geschichten grundsätzlich keine Chance bekommen, nur weil da ein männlicher oder weiblicher Name dasteht, je nachdem.

 

Stella Delaney

Katherina, du schreibst ja auch im Märchenadaptionsbereich, also eher das »klassische« Genre, was den Frauen zugetraut wird. Hast du denn schon den Eindruck gehabt, dass Frauen eventuell eine stärkere Lobby brauchen oder in gewissen Bereichen noch immer diskriminiert werden?

 

Katherina Ushachov

Ich habe vor allem die Erfahrung gemacht, dass das Genre »Märchenadaption« generell etwas belächelt wird. Man muss ja doch gar nichts leisten – das Märchen ist schon lange da, man macht dann ein bisschen Brimborium drum herum, das kann doch jeder! Und dann machen das vor allem Frauen, besonders diese Cinderella-romantischen Storys.

Zufällig hat es sich ergeben, dass meine Märchenadaption tatsächlich Romantasy ist. ABER: Hier muss ich sagen, dass diese Romantasy im Vergleich zum Vorlagen-Märchen immer noch die emanzipiertere Version war. Denn die Vorlage war im Grunde genommen, Frauen sagen: »Ich würde gerne ein Kind für einen Mann bekommen.« Der Mann kommt, sagt: »Ja, okay, machen wir das Kind.« Und los geht’s! Danach sagt die Frau nie wieder ein Wort, und da dachte ich mir: Okay, ich möchte dieses Märchen aufgreifen, ich möchte dieses Märchen modernisieren, sodass sowohl der Mann als auch die Frau besser dastehen. Nun gut, ich mache jetzt daraus eine ordentliche Lovestory, wo es um Liebe geht und nicht einfach nur darum, dass die Frau sagt: »Ich möchte etwas für den Mann tun!«, und der Mann sagt: »Ja dann, los geht’s, mach mal!«

Aber es gibt auch Märchenadaptionen mit ernsten Problemen. Man holt das Märchen in die Gegenwart, schaut: Was haben wir denn heute für Probleme? Welche heutigen Problematiken sind in den alten Märchen versteckt, die man gar nicht so wahrnimmt, weil man das Märchen als Kind liest und denkt Schöne Geschichte, und dann nie mehr darüber nachdenkt? Dieses Ernste wollen wir rausholen.

 

Stella Delaney

Dann würde ich weitergeben an die Nike. Sie ist ein Gründungsmitglied vom Nornennetz und jemand, der sich speziell damit auseinandergesetzt hat, warum es so ein Netzwerk geben sollte. Ich denke, sie kann da recht viel zu sagen.

 

Nike Leonhard

Ich könnte jetzt episch werden – auch wenn Frauen das ja angeblich nicht können, in dem Bereich könnte man es tatsächlich. Was ich aus dem eigenen Erlebnisraum kenne, ist die Geschichte: »Na ja, also, Schreiben … Wenn du dann Kinder hast, ist das auch ein schönes Hobby. Das kannst du gut nebenbei machen. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, wenn der Haushalt gemacht ist, dann hast du vielleicht Langeweile, das kannst du dann noch nebenbei machen.« Das ist, glaube ich, eine Sache, die hören Männer eher selten.

Genauso die Vorstellung: »Na ja, man muss nicht unbedingt mit Büchern Geld verdienen. Man hat ja einen Ernährer, der das reinholt, wenn man erst einmal verheiratet ist.« Auch das ist eine Vorstellung, die hören Männer eher selten. Was uns als Frauen im Literaturbetrieb tatsächlich benachteiligt, sind so ein paar Strukturen, zum Beispiel Preise. Gar nicht unbedingt beim Phantastik-Preis, den Indie-Seraph hat ja gerade eine Frau gewonnen. Eine Norne, noch zusätzlich!

Aber ganz viele Preise wenden sich an Jungautoren. Also Menschen beiderlei Geschlechts, die gerade angefangen haben, zu schreiben, bis ungefähr 35. Das ist nun leider Gottes die Zeit, wo Frauen meistens Kinder kriegen. Das heißt, es ist auch gleichzeitig die Zeit, wo zu der Doppelbelastung aus Beruf und Schreiben – man verdient ja beim Schreiben nicht unbedingt gleich Geld, sondern hat meistens noch einen Beruf und schreibt in seiner Freizeit – plötzlich das Kind dazu kommt. Und die Kinderbetreuungszeit ist meistens sehr ungleichmäßig verteilt und liegt oft bei den Frauen. Das heißt, auch wenn es gar nicht so intendiert ist: Diese Preise bis 35 haben einen gewaltigen Wettbewerbsnachteil für Frauen, weil sie einfach nicht so gut teilnehmen können.

Danach wird’s dann plötzlich ganz, ganz dünn. Dann, wenn Frauen durchstarten könnten, also wenn die Kinder längerfristig in der Schule oder aus dem Haus sind, gibt es keine Preise mehr. Dann hat man den Versorger und die Familie, die hinten ansteht: »Ja, das ist ja ein nettes Hobby!« Das sind strukturelle Bedingungen, die sind nicht böse gemeint, aber sie sind einfach so gewachsen und da muss man sich schon mal Gedanken machen, wie man damit umgeht und wie man das besser machen könnte. Damit sind wir angetreten.

 

Der zweite Teil der Talkrunde wird morgen auf dem Blog vom Nornennetz veröffentlicht. Themen: die »starke Frau« in der Phantastik, inwieweit sie zu kritisieren ist, wie in Ushachovs »Zarin Saltan« der im Märchen stummen Frau die Stimme wiedergegeben wird, fehlende innere Motivation bei Frauenfiguren und wie wir alle den Buchmarkt für Frauen und Männer gerechter machen können.

Update: Teil 2 ist jetzt online, und zwar hier!

 

5 Antworten auf „Transkript der LBM Talkrunde vom Nornennetz: Starke Frauen in der Phantastik (Teil 1)

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