Bärenbrut Textschnipsel #2: Die Szene zum Cover

Hinter den Covern von meinen Galgemärchen steckt meist etwas vom Inhalt. So ist auf dem Cover von »Wolfssucht« der mörderische Wolfsmann zu sehen, der das Dorf in der Novelle terrorisiert. Das Cover von »Kindsräuber« zeigt mit dem schwarzen Skelett meine Interpretation von Rumpelstilzchen, der als Geist das Prag von 1620 heimsucht.

Bei »Bärenbrut« ist es aber gleich eine bestimmte Szene, ja, eine Schlüsselszene des Buches, der mein Designer Gestalt verliehen hat. Findet ihr den genauen Absatz, der das Bild inspiriert hat? ;)

 

[Unlektorierte Fassung]

Schwer atmend kam Thorben zu sich. Sein Herz hämmerte, dass es schmerzte. Obwohl seine Augen offen waren, sah er nichts. Alles bestand aus dunklen und bunten Flecken. Haltsuchend wollte er sich auf dem Waldboden abstützen. Er war nass, warm … klebrig?

Der Nebel wich von seinen Augen. Da sah er, dass es ein regloser Körper war, den er berührte. Mit einem Aufschrei wich Thorben vor ihm zurück.

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Ein schreckliches Bild brannte sich in seinen Kopf: Der Wagen, auf die Seite gekippt, Holzstücke davon auf dem Waldboden verstreut. Dazwischen Fetzen von Kleidern und verrenkte Gliedmaßen. Schneeweiße Hände, von Blut dunkles Laub, verdrehte Augen und fahle Lippen. In der Ferne lief schreiend ein Pferd davon.

Vor Thorben lag Meister Kummer mit seinen Töchtern – tot. Er sah auf seine Hände. Sie waren rotverklebt. Panik ließ seine Kehle eng werden, er schrubbte wild über seine Haut.

»Oh Gott!«

Gehetzt sah er von einem Körper zum anderen. Astrid, ihr feistes Gesicht völlig unkenntlich von roten Striemen und Locken. Lerke, die Augen puppenhaft glasig. Meister Kummer, der Kopf in den Boden gerammt, halb vom Rumpf gerissen. Da bemerkte Thorben eine Bewegung in seinem Augenwinkel. Er drehte den Kopf.

Eine Erinnerung flatterte vor seinen Augen auf. Er sah die Silhouette eines Bären, vor dunklen Bäumen im goldenen Dämmerlicht. Schieß, Thorben!, hörte er seinen Vater schreien. Schieß, verdammt!

Dann sah er mit dem nächsten Wimpernschlag wieder klar: Dort war Elfriede. Sie wankte an den Überresten der Kutsche vorbei. Ihre Frisur hatte sich gelöst, hing ihr in roten Strähnen ins Gesicht. Ihr weißes Kleid war bespritzt, als wäre ein Platzregen von Dreck und Blut auf sie gefallen.

»Elfriede«, hauchte Thorben.

Sie blieb stehen. Ihr Blick kreuzte seinen. Eine furchtbare Stumpfheit war in ihre Augen getreten.

»Was«, setzte Thorben an, »ist hier –«

Plötzlich war das Elfriedes fülliger Körper. Ihre Lippen auf seinen. Thorben wich verwirrt vor ihr zurück, schnappte nach Luft, als sich ihr Mund von seinem löste. Er merkte erst jetzt, dass seine Wangen nass waren, von Elfriedes Tränen. Unaufhörlich strömten sie aus dem Dunkel ihrer Augen.

»Es war ein Monster«, flüsterte sie. Mit einer Stimme, die ihm durch Mark und Bein ging. Erregend, weiblich, überhaupt nicht mehr die Stimme des Mädchens, das er gekannt hatte. »Thorben … Ich … ich dachte, ich würde sterben, aber …«

Ihr Gesicht verzog sich. Thorben glaubte kurz, sie würde vor ihm zusammenbrechen. Da schlang sie doch wieder die Arme um ihn. Wie sie ihre Nägel in seinen Rücken bohrte, wusste er: Sie musste ihn so festhalten, um zu wissen, dass sie nicht auch gestorben war.

 

© Nora Bendzko 2017

 

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